Letzte Woche ordnete der Senat 1 der österreichischen Bundesliga die Neuaustragung des Spiels Altach gegen Rapid an. Schiedsrichter Brugger hatte bei einem Elfmeter für Altach entgegen FIFA Regel 14 den Ball freigegeben, obwohl der Rapid-Torhüter noch nicht auf der Linie gestanden war. Der Senat begründete seine Entscheidung damit, es habe keine - unanfechtbare - Tatsachenentscheidung des Schiedsrichters, sondern ein "Formalfehler" bei der Ausführung des Strafstoßes vorgelegen; daher sei eine Neuaustragung des Spiels notwendig. Der Penalty hatte zum 1:0 geführt; Endergebnis trotz zwischenzeitigen Ausgleichs durch Rapid 2:1 für Altach.
In der ORF-Sendung "Sport am Sonntag" sagte der Rechtsvertreter von Altach, der Wiener Rechtsanwalt Wolfgang Rebernig, er werde den bereits angemeldeten Protest gegen die Entscheidung so rasch als möglich auszuführen, um eine baldige Entscheidung des Protestkomitees der Bundesliga zu ermöglichen. Da aus Termingründen bald Klarheit herrschen sollte, ob das Spiel tatsächlich nachzutragen ist, werde er die vierzehntägige Frist (ab Zustellung des Urteils des Senates 1 am letzten Freitag) nicht voll ausnützen.
Rebernig ist ständiger Rechtsvertreter von Austria Magna Wien; er vertrat auch den GAK im Verfahren wegen der Nichterteilung der Lizenz für die Bundesliga. Seine Kosten übernimmt laut Altachs Präsident Werner Gunz delikaterweise ein Gönner, der "ihm gegenüber schon vielfach Sympathien für Rapid bekundet" habe.
Der Rechtsstreit ist nach dem Entscheid des Protestkomitees aber noch nicht zu Ende. Das Protestkomitee entscheidet gemäß § 21 Abs. 3 der Satzungen der österreichischen Fußball-Bundesliga zwar "verbandsintern endgültig", jedoch kann gegen dessen Urteil Klage beim Ständigen Neutralen Schiedsgericht der österreichischen Fußball-Bundesliga (§ 25 der Satzungen) eingebracht werden. Die Frist für diese Klage beträgt acht Wochen ab Zustellung der schriftlichen Entscheidung des Protestkomitees. Da die Meisterschaft wegen der EM schon am 26. April endet, ist es unwahrscheinlich, dass alle Rechtsmittel bis dahin ausgeschöpft sind, zumal von Altach auch in den Raum gestellt wurde, den Fall vor den Internationalen Sportgerichtshof CAS in Lausanne (Schweiz) zu bringen.
Dieses Schiedsgericht wurde 1984 auf Initiative des IOC als unabhängiges Gremium gegründet und wurde im Dezember 2002 auch als oberstes Schiedsgericht für Fußballstreitigkeiten zuständig. Ob dieses Schiedsgericht für den vorliegenden Fall kompetent ist, wäre allerdings noch zu prüfen.
Tatsachenentscheidung oder Formalfehler ?
Mittlerweile wurde eine interessante Entscheidung des Verbandsjugendsportgerichts des Niedersächsischen Fußballverbandes (NFV) bekannt. Nach diesem deutschen Urteil handelt es sich auch bei der Frage, ob trotz eines Regelverstoßes bei der Ausführung eines Freistoßes Tor gegeben wird oder nicht, um eine "Tatsachenentscheidung" des Schiedsrichters. Und Tatsachenentscheidungen können nun einmal nicht angefochten werden.
Beim Stand vom 2:1 für die Heimmannschaft war die Ausführung eines indirekten Freistoßes der Gastmannschaft unterbrochen worden, weil ein Fußballer den erforderlichen Abstand in der Mauer nicht eingehalten hat. Die Gastmannschaft führte den Freistoß dennoch aus und erzielte das 2:2. Das Tor wurde gegeben. Zur Begründung der Entscheidung, das Spiel 2:2 zu werten, verwies das Sportgericht auf eine FIFA-Regel von 1998: "Zu den Tatsachen, die mit dem Spiel zusammenhängen, gehören auch das Ergebnis sowie die Entscheidung, ob ein Tor erzielt wurde oder nicht."
Wenn der Unparteiische auf Tor entschieden habe, sei es unbedeutend, ob es zu Recht oder nicht zu Recht erzielt wurde. Das von ihm verkündete Spielergebnis sei unumstößlich.
Wirklich vergleichbar ist der Fall nicht, denn der Schiedsrichter (im vorliegenden Fall eine Schiedsrichterin) hat ja gerade keinen dem Altach-Fall vergleichbaren Fehler begangen. Das wäre der Fall gewesen, wenn sie den Freistoß hätte ausführen lassen, obwohl die Mauer den vorgeschriebenen Abstand von 9,15 m zum Ball nicht eingehalten hatte. Hier hatte sie dagegen das Spiel aus diesem Grund zunächst unterbrochen, das trotz Unterbrechung erzielte Tor in der Folge jedoch gewertet. Richtigerweise wäre der Freistoß gemäß FIFA Regel 13 zu wiederholen gewesen.
Beim Elfmeter hat übrigens der Schiedsrichter Tor zu geben, falls der Torwart bei der Ausführung gegen die Regeln verstößt - z.B. nicht "mit Blick zum Schützen auf seiner Torlinie zwischen den Pfosten bleibt, bis der Ball mit dem Fuß gestoßen ist" - und der Schütze getroffen hat (Regel 14).
Für einen Verstoß des Schiedsrichters gegen die für ihn geltenden Regeln ("Der Schiedsrichter darf das Signal zur Ausführung des Stoßes erst geben, wenn alle Spieler ihre Position in Übereinstimmung mit der Regel eingenommen haben, und entscheidet, wann der Strafstoß seine Wirkung erzielt hat") sehen die "Laws of the Game" aber leider keine Rechtsfolge vor.
Dass in dieser Causa noch einige juristische Verrenkungen notwendig sein werden, zeigt auch der Umstand, dass bei der Anordnung der Neuaustragung durch den Straf- und Beglaubigungsausschuss (Senat 1) auf eine Regelung in den Durchführungsbestimmungen der österreichischen Fußball-Bundesliga zurückgegriffen wurde, die sich im Kapitel "Spielabbrüche aufgrund höherer Gewalt" (§ 5 Abs. 3) findet. Dort heißt es: "In allen unvorhergesehenen sowie nicht angeführten Fällen entscheidet der Senat 1."
Hoffen wir, dass das Ergebnis der österreichischen Meisterschaft weder an der Tabellenspitze noch am Tabellenende von dem unglückseligen Spiel zwischen dem in den Abstiegskampf verwickelten Vorarlberger Klub Altach gegen Titelanwärter Rapid abhängt.
Dann möge die juristische Klärung der Frage ruhig bis nach der EURO warten...
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