Donnerstag vor einer Woche verbrachte ich zwei Tage im rumänischen Timişoara. Die Stadt (deutsch: Temeschwar), in der am 15. Dezember 1989 die rumänische Revolution gegen Nicolae Ceauşescu begann, liegt im Banat im westlichen Rumänien - eine Region, die bis 1918 zu Österreich-Ungarn gehörte. Fährt man vom Flughafen in die Stadt, fallen einem große Werbeplakete einer Fluglinie mit dem goldenen Johann-Strauß-Denkmal im Wiener Stadtpark in die Augen. Vieles an der Stadt wirkt alt-österreichisch, im Gegensatz zur rumänischen Hauptstadt Bukarest ist auch viel mehr an alter Bausubstanz übrig geblieben. Dazwischen sieht man natürlich auch hier Ostblock-Plattenbauten, und die meisten Fassaden der alten Häuser sind grau.
Am ersten Tag meines Aufenthaltes im Banat am letzten Donnerstag spielte der FC Timişoara, 16 Jahre nach seinem bislang letzten Europapokalspiel in der Saison 1992/93, wieder im UEFA Cup. Vielleicht zur Erinnerung an das damalige Spiel gegen Real Madrid, das mit einem für Timisoara sensationellen 1:1 endete, präsentierte sich die Heimmannschaft auch als "weißes Ballett" gegen das ganz in Schwarz antretende Team von Partizan Belgrad.
Von seinen bisherigen acht Heimspielen im Europacup hatte der bis 2002 unter der Bezeichnung Politehnica Timisoara in Violett spielende Klub kein einziges verloren. Und die "Poli"-Fans gelten als die besten in Rumänien, versicherte mir jedenfalls unser - aus dem Banat stammender - Mitarbeiter.
Für die Juristen ist "Poli" in den letzten Jahren eine herrliche Spielwiese gewesen, denn der derzeit unter der Bezeichung FC Timisoara antretende, 2002 in Temeschwar neu entstandene Verein kämpft seit Jahren darum, Vereinsfarben und Tradition des 1921 gegründeten FC Politehnica Timisoara weiterführen zu dürfen. Der ursprüngliche FC Poli zog mit seinem damaligen Vereinspräsidenten Claudio Zambon aus Timisoara aus und spielt nun irgendwo in der Nähe von Bukarest in einer der unteren Ligen Rumäniens.
Klagen beim rumänischen Sportgerichtshof, den ordentlichen Gerichten (rechts oben: Gerichtsgebäude in Timisoara) und dem - auch für West Ham Fans demnächst sehr bedeutsam werdenden - Sportgerichtshof CAS in Lausanne folgten; zuletzt zog der Verband dem FC Timisoara 6 Punkte ab, sodass den Klub, der sich offiziell nicht als "Poli" bezeichnen darf, in der rumänischen Meisterschaftstabelle ein (*) ziert.
Die Fans kamen trotzdem alle in Violett-Weiß, hängten ein Riesentransparent mit der Aufschrift "Poli suntem noi" - "Poli sind wir" auf (Bild rechts) und feuerten ihr "Poli" begeistert an.
Bevor ich das UEFA Cup-Spiel besuchen konnte, waren allerdings einige Bemühungen meiner rumänischen Gastgeber vom Gericht in Timisoara notwendig, denn der Ticketverkauf war bereits am Tag vor dem Spiel beendet worden. Schließlich konnte ich das Spiel im Stadion Dan Paltinisanu gemeinsam mit dem Ersten Staatsanwalt von Timisoara besuchen - und saß sogar erstmals in in einer Loge und nicht auf der allgemeinen Tribüne.
Von meinem dick gepolsterten Sitz aus konnte ich ein unterhaltsames schnelles Spiel verfolgen, in dem "Poli" sehr ambitioniert und mit viel Herz zu Werke ging, leider aber auch recht nervös agierte und daher viele Bälle an den routinierteren, technisch sehr guten serbischen Meister aus dem nur ca. 100 km entfernten Belgrad verlor. Dennoch ging die Heimmannschaft, lautstark von den auch mit einer schönen Choreographie bei Spielbeginn beeindruckenden Fans in der Kurve unterstützt, in Führung: 1:0 durch einen schnellen Gegenangriff, Torschütze Gheorghe Bucur, der den Partizan-Belgrad-Tormann überhob (25.).
Schon zehn Minuten später hieß es aber durch einen schönen Freistoß von Zoran Tošić 1:1. Und nach der Pause dominierte Partizan Belgrad das Spiel, in dem "Poli" vor der Pause durchaus gleichwertig gewesen war, immer mehr. In der 69. Minute stellte schließlich der beste Mann der Serben, Miloš Bogunović, nach einer sehenswerten Aktion auf 2:1.
Unmittelbar vor uns saßen die beiden offiziellen UEFA-Beobachter aus Spanien und der Schweiz, die sich eifrig Notizen machten (Bild links). Wahrscheinlich sind diese auch Grundlage der Spielstatistik auf der UEFA-Seite geworden.
Nach dem Spiel stürzten sich die Journalisten auf den in der Nebenloge weilenden Vereinspräsidenten von "Poli", während wir uns - die letzten Kürbiskerne, die hier beim Stadionbesuch obligatorisch sind, kauend - vom typisch ovalen "Ostblock-Stadion" (mit Laufbahn) verabschiedeten. Es war ein sehenswertes, schnelles Spiel zweier technisch guter Mannschaften. Der rumänische Vereinsfußball hat durchaus Niveau, spielen doch sieben rumänische Klubs heuer in den Europacup-Bewerben. Der Meister, CFR Cluj, schlug in der Champions League zuletzt AS Roma auswärts 2:1! Und sowohl Rumänien als auch Serbien sind für den österreichischen Fußballfan nicht uninteressant, schließlich spielen wir gegen beide Länder in der WM-Qualifikation. Für mich war es heuer schon das zweite Match in Rumänien; im Mai sah ich in Bukarest Steaua vs. Gloria Buzau (siehe -> hier).
Dass ich diesmal bei dem Spiel in Timisoara erstmals von den gepolsterten Ledersitzen einer Loge aus das Geschehen auf dem Rasen verfolgen konnte, war natürlich etwas Besonderes. Gewöhnungsbedürftig waren allerdings die uns permanent einnebelnden dicken Zigarren, die die "Poli"-Granden und deren Gäste während des ganzen Spiels rauchten.
Keine Frage, dass ich nächste Woche beim Rückspiel dem FC Timisoara die Daumen halten werde. Aller Voraussicht nach wird sich der Klub, der um Namen und Vereinsfarben kämpft, aber vom heurigen UEFA-Cup verabschieden müssen.
Spielbericht (englisch - mit Videos): siehe hier!
Weitere Fotos aus dem Stadion Dan Paltinisanu: siehe -> hier!
Website Justice For Poli -> siehe hier!
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1 comment:
Schön erzählt!
Danke auch für die Unterstützung!
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